Wassili Schukowski. Romantiker zwischen den Welten by Petra van Cronenburg

Autor:Petra van Cronenburg [Cronenburg, Petra van]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Essay
Herausgeber: edition maeve
veröffentlicht: 2013-02-03T00:00:00+00:00

Das Verhängnis

Der spätere Schukowski-Biograf von Seidlitz lässt keinen Zweifel daran, dass er im Gegensatz zu Schukowski die seltsame Frömmigkeit der Familie von Reutern als „ungesund“ für den Freund empfindet. Als er über die „Krummacher’sche Gnadenwahl-Wirtschaft“ schimpft, verrät er indirekt die Hintergründe.

Die Krummachers waren ein Predigerclan aus dem Hessischen. Der ältere Krummacher hatte eine Erweckungssekte aus den USA mitgebracht, wie ein Guru sammelte er die Massen. Nur scheinbar standen die Prediger den Pietisten nahe. So extrem waren sie, dass sie immer wieder Predigtverbot in Kirchen unterschiedlicher Glaubensrichtungen bekamen. Alles Rationale wird von der Sekte angefeindet, die strengstes Bibelstudium verordnet. Die Anhänger müssen wie bei den Amish in den USA eine einheitliche Tracht tragen, müssen den Predigern Geld abgeben. Eigener Wille und eigene Meinung werden unter einem Bewusstsein unablässiger Schuld und Sünde erstickt. Goethe spottete über die Predigten Krummachers, sie seien narkotisch, Friedrich Engels erlebte den Clan persönlich und schrieb: „So erscheint Krummacher als Eins, die anderen als lauter Nullen dahinter, die nur dazu dienen, seinen Wert zu erhöhen.“ Die Zugehörigkeit zu diesen Kreisen war es, die sich wirklich hinter der scheinbaren Familienidylle der von Reutern verbarg.

Schukowski kann gerade noch seiner Frau die vorgeschriebene Sektentracht verbieten. Er versucht über all die Jahre seiner Ehe, Elisabeth von seinem orthodoxen Glauben zu überzeugen. Sie wird jedoch erst sehr spät konvertieren. Als 1842 die Tochter mit Namen Alexandra geboren wird, kann die Familie auch dieses Glück nicht genießen. Die junge Mutter ist durch ihr extremes religiöses Schuldbewusstsein ohnehin ständig überreizt, jetzt hat sie auch noch eine unerklärliche Angst vor dem Neugeborenen, hat Angst, als Mutter zu versagen. Schukowski und sein Schwiegervater sind in dieser Zeit beide schwer krank.

Nach dem heutigem Stand der Wissenschaft würde man sagen, Elisabeth von Reutern litt an einer Schwangerschaftsdepression. Doch zu ihrer Zeit gibt es dafür weder eine Diagnose noch Therapien, sie ist der Krankheit hilflos ausgeliefert. Auch die Geburt von Paul im Jahr 1845 kann daran nichts ändern. Die Hölle, in der Schukowski und die Kinder vor allem in der Baden-Badener Zeit lebten, kann man sich nur schwer ausmalen. Ohne die heutige Medizin standen Kranke wie Elisabeth immer wieder kurz vor dem Suizid. Eine völlige Antriebslähmung machte sie außerdem körperlich hinfällig, Zwangssymptome kamen sicherlich hinzu und Aussicht auf eine Heilung gab es nicht.

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